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IMG_20141213_143147_1_wmJenseits von Pegida und Hogesa suchen Bürger Kontakt zu Flüchtlingen und lassen sich ohne Berührungsängste auf die Asylunterkunft in ihrer Nachbarschaft ein. In Duisburg-Rheinhausen sorgte eine gemeinsame Weihnachtsbäckerei für eine ungewöhnliche Begegnung in der Notunterkunft. Aber können Bunte Teller weihnachtliche Atmosphäre zaubern?

Mitten auf dem grauen Pausenhof der ehemaligen Grundschule in Duisburg-Rheinhausen setzt das pinkfarbene Dreirädchen einen farbenfrohen Akzent in den tristen regnerischen Dezembernachmittag. Unter tiefhängenden Wolkenfetzen ducken sich dunkelrote Backsteingebäude und der braune Flachbau einer Turnhalle. Obwohl die Schule als Notunterkunft für Asylbewerber seit September gut 100 Menschen beherbergt, ist niemand zu sehen.

Da öffnet sich die Pforte und Frau Koc tritt heraus. Eine rundliche Frau mit mittellangen mahagoniroten Haaren und leichtem Doppelkinn. Grinsend wehrt sie die beiden dunkelhäutigen Jungs ab, die feixend an ihren Armen hängen. Sie wohnt in der Nachbarschaft und kümmert sich hier ein wenig. „Tobi müsste schon hier sein!“ ruft sie mit dunkler, etwas rauer Stimme und eilt voran Richtung Turnhalle. Im schmalen Eingangsflur riecht es noch nach Schulsport, nach dieser Mischung aus verschwitztem Turnzeug und abgenutzten Medizinbällen.

Tobi, der junge schlanke Mann in Jeans und weißem T-Shirt, sitzt hinten in der Halle mit einer Gruppe älterer dunkelhaariger Männer an einem schlichten Holztisch. Sie kauderwelschen lachend ein paar Brocken auf Serbisch, trinken Kaffee. „In dieser Turnhalle leben um die fünfzig Menschen, die meisten mit wenig Aussicht auf Anerkennung des Asylstatus. Es sind fast nur Roma.“ erklärt Tobi während er mit ausgestrecktem Arm in die weite Halle deutet.

Der Blick fällt auf Betten: ausrangierte Krankenhausbetten, hölzerne Gitterbettchen, einfache Etagenbetten. Unter den Basketballkörben, den Kletterseilen und vor der Fensterfront aus Glasbausteinen sind sie ringsum aufgestellt. Decken und Bettlaken hängen herab und fassen jeweils zwei, drei dieser Schlafstätten zu bunten Inseln zusammen. „Nachtruhe ab 22:00 Uhr!“ mahnt ein handgeschriebenes Plakat.

Es ist warm, stickig. Doch nachts, wenn die Fenster geöffnet sind, würde es kalt, sehr kalt, findet die Roma-Frau mit den glatten, langen Haaren. In ihrem hochgeschlossenen himmelblauen Kleid hat sie sich mit an den Tisch gesetzt und rührt aus Kaffeemehl und heißem Wasser einen türkischen Kaffee für die neuen Gäste.
Denn inzwischen sind Sandra, Alina, Saskia und Tobis Schwester Sarah eingetroffen. Aus den Rucksäcken der fröhlichen jungen Frauen schauen Nudelhölzer hervor, Sandra trägt eine in Zellophan gewickelte Teigkugel vor sich her.

Wie Tobi gehören sie zu einer Initiative um Youssef Chemao, der es nicht ertrug, dass die Stadt Duisburg im Sommer eine Zeltstadt plante, um die monatlich erwarteten 150 neuen Asylbewerber unterzubringen. Der dreißigjährige Deutsche mit marokkanischen Wurzeln rief spontan eine Facebook-Gruppe ins Leben, um „die, die helfen wollen und die, die Hilfe benötigen zusammenzubringen.“  Heute schaut er nur kurz herein und wünscht viel Spaß bei der Weihnachtsbäckerei. Denn deshalb haben sie hier getroffen: mit gemeinsamen Backen wollen sie auf Weihnachten einstimmen, den Flüchtlingskindern etwas Ablenkung bieten. Die Roma-Frau verzieht das Gesicht, als sie ihren Kaffee probiert. Zu viel Kaffeesatz in der Tasse verhindert, dass sie ihn anbieten kann. „Ohne Aufkochen geht das nicht“ lacht einer der Männer.

Zum Backen geht es in das grasgrün getünchte Nebengebäude am anderen Ende des Schulhofs. Hier befindet sich die Gemeinschaftsküche. Die Flügeltür steht offen, Neonlicht fällt heraus. Drinnen sind links und rechts vom Eingang jeweils fünf weiße Elektroherde in Reihe aufgebaut. Als Küchentisch fungiert die Hälfte einer dunkelgrünen Tischtennisplatte. Kohlgeruch hängt in der Luft. Eine Frau in buntem Kleid setzt gerade Mittagessen auf. Gegenüber rührt ein junger Schwarzafrikaner in einem Schmorgericht und vor dem Fenster spülen zwei Frauen Geschirr ab. Neugierig beobachten die Flüchtlinge das Treiben der Backgruppe.

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Denn die breitet schon die mitgebrachten Utensilien aus: Flugs liegen Nudelhölzer, Ausstechförmchen, Backbleche, Kugeln aus Mürbe- und Kipferlteig, Backpapier, Dosen mit Schokostreuseln und gehackten Nüssen in einem wilden Stillleben bunt durcheinander auf der Tischtennisplatte. Tobi hat die Kinder geholt und auf einmal wimmelt und wuselt, kreischt und kichert eine Horde aufgeregter Jungs und Mädchen durch die Küche. „Erst die Hände waschen“ kräht ein kleiner Junge in Trainingshose und neongrünen Plastik-Clogs. Von irgendwo her haben sie einen weiteren Tisch herbeigeschafft. Ein kleines langhaariges Mädchen in rotem T-Shirt und brauner Pelzweste beginnt mit Sarah schon konzentriert den ersten Teig auszurollen. Andere probieren erst mal und kneten dann patschig Würste. Die warmen Kinderhände lassen den Teig zu weich werden, den ausgestochenen Herzchen und Tannenbäumen fehlen deshalb ein paar Zacken, mit einem großzügigen Schokostreusel-Belag wird das kaschiert. Der junge Schwarzafrikaner, der eben noch am Herd gekocht hat, lacht und schießt Foto um Foto mit seinem Handy.

Da werden schon die ersten Bleche in die Öfen geschoben. Die Luft wird stickig jetzt, der Kohldunst mischt sich mit süßlichem Backstuben-Dampf. Auf dem Schulhof lässt sich kurz durchatmen. Der Afrikaner stellt sich als Keita vor und hat damit nicht nur den Namen mit dem Fußballstar der malischen National-Elf gemeinsam. Auch er stamme aus Bamako. „Sehr gut in Deutschland.“ befindet er. Die ganze Familie hätte er in Mali zurückgelassen, aber zurück möchte er nicht mehr, niemals, zu viele Probleme. Nur gefalle ihm hier nicht, dass die Küche nachts geschlossen ist, er sich nicht jederzeit etwas zu essen oder seinen Kaffee machen könne. Wie auf Stichwort ist plötzlich ist die Roma-Frau aus der Turnhalle wieder da. Sie verteilt glücklich lachend frischen Kaffee und diesmal schmeckt er gut.

Inzwischen sind die Plätzchen fertig. In den Backöfen hatte sich die Hitze nur ungleichmäßig verteilt und darum ist auf jedem Blech ein Teil der Plätzchen verbrannt. Die Gelungenen verteilen Sandra und Alisa liebevoll auf bunte Weihnachtsteller aus Pappe, fügen noch Schokokugeln hinzu.

Das kleine Mädchen mit der Fellweste, das eben begeistert mitgebacken hat, verharrt vor der Küchentür stocksteif an der Hand seiner Mutter. Sein Gesicht ist tränenüberströmt. Warum weint sie? „Sie ist ein Härtefall.“ Tobi kennt das Mädchen und ihre Geschichte: „In Mazedonien wurde sie verfolgt, hier hat sie Angst vor Männern. Eine Menschenmenge wie jetzt macht sie nervös. Es wird ihr schnell zu viel.“

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Die Küche hat sich geleert. Die Plätzchenteller stehen in der Ecke auf einem der Herde und verbreiten einen Hauch von Heimeligkeit und Weihnachtsstimmung, kommen aber gegen die Kargheit des Gemeinschaftsraums nicht an.

Die Roma-Frau schaut noch einmal herein: „War gut, der Kaffee?“ Zum Abschied verschenkt sie herzliche Umarmungen und sorgt damit doch noch für warme Stimmung.

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